Laura Chinchilla Miranda, erste Präsidentin Costa Ricas, * 1959

SDG #5 - Geschlechtergleicheit

Am 23. Mai 1949, also vor etwas mehr als 70 Jahren, trat in der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz, unsere Verfassung, in Kraft. Geschrieben wurde es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Erinnerungen an all die vielen Toten, den Hass und die Greueltaten des Nationalsozialismus noch frisch waren. Weil sich all das nie mehr wiederholen sollte, haben die universellen Menschenrechte einen ganz besonderen Stellenwert in diesem Gesetz. Wie wichtig den Verfassern der Schutz dieser Rechte war, zeigt sich besonders in den ersten Artikeln. Nicht ohne Grund lautet der erste Satz des ersten Artikels: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und auch der zweite Absatz des Artikels 3 hat es in sich. Dort heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Im wichtigsten Gesetz unseres Landes ist die Gleichberechtigung also geregelt. Doch wer die ersten Artikel des Grundgesetzes ganz aufmerksam liest, was jeder mal getan haben sollte, wird feststellen, dass an einigen Stellen noch nachgebessert werden kann. Das gilt jedoch nicht nur für das Grundgesetz selbst, sondern auch für unser aller Verhalten.

Es gibt noch einiges zu tun

Dass die Gleichberichtigung aller Menschen ganz vorn im Grundgesetz steht, ist gut und wichtig. Darüber, dass auch das dritte Geschlecht in die Artikel aufgenommen werden soll, besteht weitestgehend Einigkeit. Als das Bundesjustizministerium im Herbst 2020 einen Gesetzentwurf in rein weiblicher Form vorstellte, ging ein lauter Aufschrei durch Medien, Gesellschaft und Politik. Das Bundesinnenministerium befürchtet sogar, dass die ausschließliche Verwendung des generischen Femininums verfassungswidrig sei – also gegen das Grundgesetz verstößt. Eine Einigung konnte noch nicht erzielt werden, aber man sieht, dass sich etwas bewegt. Allerdings gibt es noch weitaus mehr Punkte, an denen man erkennen kann, dass Gleichberechtigung längst noch nicht erreicht ist:

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Noch immer verdienen Frauen durchschnittlich 20 % weniger als Männer, selbst wenn sie den gleichen Job machen.
  • Gleiche Karrierechancen: In der Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben noch immer deutlich mehr Männer Führungspositionen inne als Frauen.
  • Gleiche Chancen: In den MINT-Berufen (MINT ist eine Abkürzung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sind Frauen unterrepräsentiert, obwohl sie die gleichen schulischen Leistungen erbringen.

Komisch, oder? Als Gleichberechtigung kann man das nicht bezeichnen. Ganz abgesehen davon, dass es weder fair noch gerecht und vor allem nicht gerechtfertigt ist. Umso erfreulicher ist es, dass sich in Deutschland viele Menschen dafür engagieren, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen ein für allemal zu beenden. Denn es liegt schließlich an uns allen, eine gerechte Welt zu schaffen. Und so steht vor dieser Aufgabe nicht nur Deutschland, sondern alle Länder der Erde. Das folgende Beispiel aus Costa Rica zeigt eine Möglichkeit, wie sich Gleichberechtigung praktisch umsetzen lässt.

Unabhängig, frei und neutral

Costa Rica liegt in Zentralamerika, zwischen Nicaragua (Norden) und Panama (Süden), Pazifik (Westen) und Karibik (Osten). Es gilt als eines der nach westlichen Standards fortschrittlichsten Länder Lateinamerikas und wird auch als „die Schweiz Zentralamerikas“ bezeichnet. Costa Rica hat bereits 1948 seine Armee abgeschafft und stattdessen Geld in Bildungs- und Gesundheitsprogramme investiert. Auch der Schutz der Umwelt hat in Costa Rica einen hohen Stellenwert: Der im Land verbrauchte Strom stammt fast vollständig aus regenerativen Quellen, rund ein Drittel (27%) der Landesfläche steht unter Naturschutz und Ökotourismus wird gefördert. Die NGO Reporter ohne Grenzen führt Costa Rica für das Jahr 2020 in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 7 von 180 (Norwegen: Platz 1, Deutschland: Platz 11). Die Presse Costa Ricas darf weitgehend frei berichten und auch die Menschen genießen viele Freiheiten. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete Laura Chinchilla Miranda, welche von Mai 2010 bis Mai 2014 die erste Staatspräsidentin des Landes war. Einer ihrer größten Erfolge war es, ein Gesetz zur Ehe zu unterzeichnen, das sich auf „soziale Rechte und Vorteile einer zivilen Gemeinschaft, frei von Diskriminierung“ bezieht. Das heißt, dass auch gleichgeschlechtliche Ehen gesetzlich erlaubt sind.

Kleine Änderung, großartige Folgen

Die Zustimmung der konservativen Abgeordneten zu diesem Gesetz liest sich wie das Drehbuch eines Films. Wie üblich werden Gesetze vor ihrem Beschluss dem Parlament vorgelegt, das darüber abstimmen soll. Oftmals sind das viele Seiten voller schwer zu verstehender Sätze, durch die man sich erst mal durcharbeiten muss. Doch wer seinen Auftrag ernst nimmt, stellt sich dieser Aufgabe. Werden dann Änderungen im Gesetz verlangt und eingearbeitet, startet die ganze Prozedur von vorn. Um das ein wenig besser darzustellen, hilft ein kleines Gedankenexperiment: Stellt euch vor, ihr müsstet Shakespeares „Romeo und Julia“ in kürzester Zeit durchlesen und verstehen. Sobald ihr das geschafft habt, wird an einer euch unbekannten Stelle der Text geändert. Eure Aufgabe ist es nun, diese zu finden und zu bewerten, ob sich dadurch die ganze Geschichte verändert hat. Dafür müsstet ihr das gesamte Buch noch einmal lesen. Besonders gern würde das sicher niemand machen, auch Politikerinnen und Politikern geht es da manchmal nicht anders. So war es auch in Costa Rica: Die konservativen Abgeordneten lasen das Gesetz nicht noch einmal, übersahen so eine Änderung und stimmten zu. Ihr Fehler fiel ihnen erst einen Tag später auf und sie verlangten, dass Laura Chinchilla Miranda dieses Gesetz nicht unterzeichnet. Doch sie tat es – und machte damit den Weg zur gleichgeschlechtlichen Ehe im Land frei.

Kluge Entscheidungen für mehr Sicherheit und Gerechtigkeit

Während ihrer Amtszeit konnte die Politikwissenschaftlerin Miranda noch weitere Erfolge verbuchen. Mit einer neuen Sicherheitsstrategie sowie Präventions-, Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen gelang es, die Kriminalität in Costa Rica einzudämmen. Im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte an Frauen nicht nur ein bisschen, sondern deutlich: Zwischen 2010 und 2013 gingen derartige Straftaten um fast 70 Prozent zurück! Dies ist ein großer Schritt und zeigt, dass Geschlechtergerechtigkeit nicht nur eine Frage von Gesetzen ist, sondern im Kopf eines jeden Einzelnen anfängt. Dazu gehört auch, Mädchen und Frauen nicht wegen ihres Geschlechtes umzubringen. Dieser sogenannte Femizid (in Lateinamerika auch „Feminicidio“) ist ein weltweites Problem, das allein in Deutschland jeden dritten Tag ein Frauenleben kostet, weltweit wurden im Jahr 2017 etwa 50.000 Frauen und Mädchen Opfer eines Femizids. Mit ihren klugen Entscheidungen trug Laura Chinchilla Miranda dazu bei, dass Costa Rica auch nach ihrer Amtszeit weiter auf dem Weg hin zu einem sicheren Land bleiben konnte und bis heute ist. Denn wir wissen, dass nicht das Geschlecht darüber entscheidet, wie clever oder erfolgreich man ist. Vor allem aber wissen wir, dass Frauen in der Lage sind, an der Spitze eines Landes zu stehen und dieses zu führen. Seit November 2005 haben wir in Deutschland mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin. Möglich gemacht haben das auch die Verfasser des Grundgesetzes, indem sie die Gleichberechtigung darin verankerten. Der Weg bis an die Spitze – egal, welche – steht Mädchen und Frauen ebenso offen, wie Jungen und Männern – und all jenen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Damit das in allen Bereichen unseres Lebens so ist, braucht es unser aller Mitarbeit. Erinnert ihr euch noch an den oben beschriebenen Gesetzentwurf? Würdet ihr euch als Junge auch davon angesprochen fühlen? Oder habt ihr als Mädchen schon einmal erlebt, dass euch Dinge nicht zugetraut werden, nur weil ihr keine Jungs seid? Sprecht über eure Erlebnisse und findet heraus, worin sich Unterschiede begründen und was Gemeinsamkeiten sind. Zudem gibt es auch jede Menge Materialien und Workshops, mit denen ihr das Thema „Geschlechtergleichheit“ in euren Unterricht einfließen lassen könnt. Aber auch ganz praktische Dinge helfen dabei, dieses Globale Nachhaltigkeitsziel zu erreichen. Verwendet zum Beispiel in Texten Formulierungen, die alle Geschlechter ansprechen und ermuntert eure Freundinnen und Freunde, Lehrerinnen und Lehrer und auch eure Familienmitglieder, dies zu tun. Was euch im Schulalltag dabei helfen kann, erfahrt ihr hier.

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