Nazma Akter, Gewerkschafterin aus Bangladesch, * 1975

SDG #8 - Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum

In jedem eurer Kleidungsstücke befindet sich ein kleines Etikett. Darauf stehen Größe und Pflegehinweise und auch, wo es hergestellt wurde. Ein Blick genügt, um zu erkennen: Der Großteil der Klamotten im Schrank stammt aus Asien. Das war natürlich noch nicht immer so; Sachsen zum Beispiel war lange Zeit ein international angesehener Textilstandort. Doch die Zeiten haben sich geändert und dank riesiger Containerschiffe ist es heutzutage oft günstiger, Waren um den halben Globus zu schicken, als sie vor Ort fertigen zu lassen. Das hat, wie so vieles im Leben, gute und schlechte Seiten. Von Vorteil ist im Allgemeinen, dass viele Waren für uns preiswerter geworden sind und auch Menschen anderswo Arbeit haben, die sie sonst eventuell nicht hätten. Von Nachteil ist, dass dadurch Arbeitsplätze bei uns verloren gingen, lange Lieferketten besonders klimaschädlich sind und auch, dass Menschen in den Textilfabriken oft nicht fair bezahlt und behandelt werden – um nur einige Nachteile aufzuzählen. Den Preis für sich immer schneller ändernde Moden und den unbedingten Willen, alles möglichst günstig zu erhalten, zahlen Menschen am anderen Ende der Welt. Dabei gibt es zur Genüge Berichte über die katastrophalen Zustände in Fabriken in Ländern wie Bangladesch, Pakistan oder Kambodscha. Vor allem in Billiglohnländern leiden die Angestellten unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Giftige Substanzen des Herstellungsprozesses werden ungefiltert in Flüsse geleitet, es fehlen Notausgänge in den Fabriken und die Arbeitszeiten sind nichts anderes als moderne Sklaverei. Bis zu 70 Stunden pro Woche sitzen die Näherinnen und Näher unter Leuchtstoffröhren an laut ratternden Maschinen.

Fast Fashion wird noch schneller

Auch Nazma Akter kennt dieses Leben. Bereits mit elf Jahren arbeitete sie an der Seite ihrer Mutter in einer Textilfabrik in Bangladesch. Sie war also in einem Alter, in dem man in Deutschland noch gar nicht arbeiten darf. Und das aus gutem Grund, denn wo Kinderarbeit erlaubt ist, besuchen Mädchen und Jungen keine Schule. Doch hier lernen sie – wie ihr ja auch – lesen, schreiben und rechnen, also die Grundlagen, um als erwachsener Mensch ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das bedeutet, dass man selbst entscheiden kann, welchen Beruf man erlernt, wo man arbeitet und wonach im Leben man strebt. Doch die Konzerne, für die Nazma Akter und ihre Kolleginnen arbeiteten, kümmern sich herzlich wenig um die Einhaltung solch grundlegender Rechte, die für alle Menschen weltweit gleichermaßen gelten. Was sie antreibt, ist der Profit. Der wird umso größer, je öfter wir nach neuer Kleidung verlangen. Noch vor wenigen Jahren gab es zwei Kollektionen pro Jahr: eine pro Halbjahr. Relikte aus dieser Zeit sind der Sommer- sowie Winterschlussverkauf, die mittlerweile vielerorts dem von der Jahreszeit unabhängigen „Sale“ Platz gemacht haben. Sicher kennt ihr auch den Begriff „Fast Fashion“, also den schnellen Kollektionswechsel. Bei großen Modehäusern findet ihr dann alle vier Wochen eine komplett neue Auswahl. Noch rasanter geht es bei der neuesten Idee der Modeindustrie, der Ultra-Fast Fashion, zu. Hier ist das Ziel, jede Woche eine neue Auswahl anzubieten. Klingt gut? Ist es aber nicht.

Gefährliche Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Profitgier

Konsumenten – also Käuferinnen und Käufer – finden sich für eine derartige Vielzahl an Kleidungsstücken nur, wenn diese zu einem Spottpreis verkauft werden. Und das können sie nur, wenn diejenigen, die sie herstellen, massive Entbehrungen in Kauf nehmen. Einer der sofort sichtbaren Missstände sind die Textilfabriken selbst. Wie schlecht deren Zustand häufig ist, zeigte sich am 24. April 2013, als in der Stadt Sabhar das Rana Plaza-Hochhaus einstürzte. In diesem acht Stockwerke hohen Gebäude befanden sich mehrere Textilfirmen, einige Geschäfte und eine Bank. Obwohl am Tag vor dem Einsturz Risse entdeckt worden waren und die Polizei daraufhin das Betreten verboten hatte, zwangen die Fabrikbesitzenden die Arbeiterinnen und Arbeiter nach drinnen, um zu arbeiten. Um kurz nach 09.00 Uhr kollabierte das Gebäude. Zu dieser Zeit befanden sich mehr als 3.000 Menschen in dessen Inneren. Insgesamt starben bei dem Einsturz 1.355 Menschen, 2.438 wurden verletzt. Bis heute gilt der Einsturz als schwerster Fabrikunfall in der Geschichte Bangladeschs. Doch marode Gebäude wie dieses sind kein Einzelfall, sondern bittere Realität. Arbeiterinnen und Arbeiter, die in diesen Fabriken arbeiten, setzen folglich ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel. Hinzu kommt, dass sie oftmals in schlecht oder gar nicht belüfteten Räumen sitzen, in denen der Lärm ohrenbetäubend ist und nur künstliches Licht strahlt. Eine gemütliche Wohnung, in der der Feierabend auch wörtlich zu nehmen ist, gibt es ebenso wenig wie ausreichend Freizeit, in der man sich erholen kann. Zehn bis zwölf Stunden arbeiten Näherinnen und Näher pro Tag. Der Stundenlohn in Bangladesch beträgt rund 20 Cent, was einem Monatslohn von etwa 60 Euro entspricht, also ungefähr soviel, wie einige von euch vielleicht für eine neue Jeans auszugeben bereit sind. Doch nicht nur die Bezahlung lässt zu wünschen übrig, es mangelt auch an Rechten für die Näherinnen und Näher. Als ob der anstrengende Job noch nicht genug wäre, werden sie oftmals misshandelt. An der Tagesordnung sind Schläge, Beleidigungen und andere verbale Attacken oder sexuelle Belästigungen. Wer sich dagegen wehrt und sich offiziell für bessere Bedingungen stark macht, muss oft mit Repressalien – das sind Maßnahmen, die Druck ausüben sollen, wie zum Beispiel Einschüchterungen – rechnen. Oftmals verlieren diejenigen, die sich gemeinsam für Verbesserungen engagieren, sogar ihren Job.

Lernen ohne Lehrerinnen und Lehrer und vor allem: ohne Schule

Nazma Akter hat all dies kennengelernt und schloss sich einer Gewerkschaft an, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen einsetzt. So wollte sie gemeinsam mit Anderen für mehr Gerechtigkeit in der Textilbranche kämpfen. Um sich jedoch mit anderen Textilarbeiterinnen zu organisieren, sind Kernkompetenzen wie Lesen und Schreiben unverzichtbar. Da man diese in erster Linie in der Schule lernt, war das für Nazma Akter kein einfaches Unterfangen. Weil sie bereits als Näherin in der Fabrik arbeitete und gar keine Zeit hatte, in die Schule zu gehen, musste sie einen anderen – weitaus schwierigeren – Weg gehen. Was ihr dabei half, war ihr Wille, etwas zu verändern. So brachte sie sich allen Widrigkeiten zum Trotz selbst Englisch bei, eine Grundvoraussetzung, um auch international Gehör zu finden. Wie wir heute wissen, gelang ihr das, denn mittlerweile gilt sie als die bekannteste Gewerkschafterin Bangladeschs.

Eine Stimme, die weltweit gehört wird

Das macht sie zu einem leuchtenden Beispiel dafür, dass Bildung der Schlüssel zu Erfolg ist, denn egal, wo auf der Welt: Positive Veränderung gibt es nur, wenn nicht nur das Problem erkannt wird, sondern auch Lösungsansätze entwickelt werden. Einer dieser Ansätze, die Nazma Akter mit ihrer Arbeit verfolgt, ist die 2003 von ihr gegründete AWAJ-Stiftung – eine Organisation, die sich für das Wohlergehen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzt. In Frauencafés bietet ihre NGO Textilarbeiterinnen die Möglichkeit, sich zu erholen. Zudem gibt es Gesellschaftsspiele, mit denen die Arbeiterinnen und Arbeiter über ihre Rechte aufgeklärt werden. Aber auch für Weiterbildungen und medizinische Versorgung sorgt die AWAJ-Stiftung. Ein großer Teil der Arbeit Nazma Akters besteht aus Zuhören, Trost spenden und Mut machen. Dass sie den hatte und hat, beweist ihr Engagement, denn sie ist auch Gründerin und Präsidentin der Sommilito Garment Sramik Federation, einer Gewerkschaft von Bekleidungsarbeiterinnen und -arbeitern mit über 80.000 Mitgliederinnen und Mitgliedern. Zudem ist sie stellvertretende Vorsitzende der global agierenden Gewerkschaft IndustriALL.

Mit weniger besseres Leben für alle

Ungeachtet ihrer Spitzenpositionen weiß sie, dass es auf die Stimme eines jeden Einzelnen ankommt. Dementsprechend motiviert sie auch andere, sich zu engagieren. In einem Interview mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) antwortete sie auf die Frage, was sie von der Zukunft erwartet: „Ich habe viele Hoffnungen und Erwartungen. Dabei hängt viel von der nächsten Generation ab. Die jungen Aktivisten von heute werden irgendwann unseren Platz einnehmen. Ich möchte, dass sie ehrlich, fair und verantwortlich handeln und sich die Hände nicht schmutzig machen. Ich setze alles mir Mögliche in Bewegung, damit dieser Wunsch wahr wird.“ Ihren Appell sollten auch wir uns zu Herzen nehmen, denn während Menschen wie Nazma Akter dafür kämpfen, dass sich die Arbeitsbedingungen der Näherinnen und Näher an den Produktionsstandorten verbessern, können wir alle dies durch die Auswahl und die Menge unserer Kleidung unterstützen. Letztlich spricht auch nichts gegen eine Shoppingtour, an deren Ende neue Klamotten im Schrank hängen. Wir alle haben es in der Hand, ob Modeketten Ideen wie die Ultra Fast Fashion tatsächlich umsetzen. Wie das geht? Ganz einfach: Zahlreiche Label und Siegel, wie zum Beispiel GRÜNER KNOPF oder Global Organic Textile Standard (GOTS), bieten Orientierung, um Entscheidungen auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit treffen zu können. Wie wichtig das ist, zeigt sich besonders eindrucksvoll bei Textilien, denn während die Arbeitsbedingungen in ihren Herstellungsländern das eine sind, sind die Auswirkungen auf die Umwelt das andere. So benötigt die Herstellung eines einfachen Baumwoll-T-Shirts rund 2.000 Liter Wasser, für eine Jeans sogar rund 6.000 Liter. Mit besserer Bezahlung der Arbeiterinnen und Arbeiter in Bangladesch, Pakistan oder Kambodscha allein ist es also nicht getan. Wir sind Nazma Akter und all denjenigen, die unsere Must Haves, Lieblingspullis und -hosen fertigen, dafür weit unter unserem Standard leben und ihre Gesundheit sowie ihr Wohlergehen aufs Spiel setzen müssen, schuldig, dass wir sie öfter als nur einmal tragen oder nicht ungetragen im Schrank hängen lassen.

Die bewusste Entscheidung für Labels, die faire Textilien anbieten, ist ein wichtiger Schritt, um das Globale Nachhaltigkeitsziel Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum zu erreichen. Auch in der beruflichen Bildung kann das Ziel menschenwürdiger Arbeit und nachhaltiges Wachstum verfolgt werden. Schaut euch hierzu das kurze Video mit einer Erklärung zur BBNE an. Was es darüber hinaus noch für Möglichkeiten gibt, ist spannender Stoff für euren Unterricht.

Mit welchen Materialien, Workshops und Exkursionen ihr euch mit euren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden und Lehrerinnen und Lehrern intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen könnt, erfahrt ihr hier.

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